Juni 2025: Ich poste ein Reel aus meinem Angestelltenjob in meiner Insta-Story: Meine Kollegin und ich, wie wir die KÜHLE KARTE für die Stadt Osnabrück vorstellen. Ich erkläre, warum wir eine Karte mit kühlen Orten brauchen: weil es in Osnabrück heute rund dreimal mehr heiße Tage gibt als früher – die Realität der Klimakrise.
Dieser Moment vor der Kamera war für mich mehr als nur ein Job. Es war ein Sprung ins kalte Wasser. Ich war nervös. Ich hatte Angst, komisch auszusehen. Beurteilt zu werden.
Dabei beschäftige ich mich seit über einem Jahrzehnt mit Klima und Umwelt. Ich spreche oft davon, wie wichtig Mut für dieses Thema ist. Und seit ich denken kann, ist es mein Ziel, meine Stimme zu erheben, um die Welt besser zu machen.
Trotzdem war dieser Moment wieder ein Test: Traue ich mich, sichtbar zu machen, was mir wirklich wichtig ist? Ja!
Desinformation in der Klimakrise
„In den 1960ern war es genauso heiß wie heute“ sagte eine Frau, als wir die KÜHLE KARTE präsentierten, einen „Hannoveraner Professor“ zitierend, den sie immer auf Youtube ansehe. Nach kurzem Googeln finde ich heraus, dass er Professor für Finanzwissenschaften ist und in den letzten Jahren dafür bekannt wurde, Falschinformationen zu verbreiten. Die Aussage „In den 1960ern war es genauso heiß“ ignoriert, dass man die steile Nach-Oben-Kurve der menschengemachten Erderwärmung seit dem industriellen Zeitalter sowohl am Thermometer und Satellitendaten als auch an Eisbohrkernen, Baumringen, Korallen und Seesedimenten eindeutig feststellen kann. Fachleute machen das im Übrigen. Nicht Finanzwissenschaftler.
Es wäre fantastisch, wenn der Klimawandel nur eine Riesenverschwörungserzählung wäre. Ich wäre so erleichtert 😀 Aber nein. Die letzten drei Sommer waren Rekordsommer. Die Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt, die Wälder brennen und es gibt Überflutungen. Pflanzen- und Tierarten sterben aus. Viele Menschen, vor allem im Süden des Planeten, leiden schon seit Jahren darunter – das durfte ich vor zwei Jahren bei einer beruflichen Reise mit eigenen Augen in Mittelamerika sehen.

Wir leben alle in einer ökologischen Krise, das ist leider einfach so. Also: Wie gehen wir damit um? Verstecken? Aussitzen? Warten, bis jemand was tut? Oder – gestalten? Wie sieht mein Leben (hier in Mitteleuropa) in der Klimakrise aus?
Mein Weg in der Klimakrise
Schon als Kind habe ich mir ähnliche Fragen gestellt. Die Welt besser machen, das war in meiner behüteten Kindheit für mich zum Beispiel Gänseblümchen vor dem Rasenmäher retten. Ich habe mir gewünscht, dass „Kinder in Afrika“ genug zu essen haben und mich häufig gefragt: Warum gibt es überhaupt Hunger, Kriege, Umweltverschmutzung? Können wir nicht alle nett zueinander und zu den Tieren und Pflanzen sein? Und mir das sehr gewünscht.
Das klingt ja erst einmal schön. Was aber, wenn das Gefühl entsteht: Alles wird immer schlimmer, unaufhaltsam, und keiner tut was dagegen!? Als Teenager und mit Anfang 20 sah meine Frage nämlich eher so aus: WIE KÖNNT IHR NUR SO SEELENRUHIG WEITERLEBEN? Das ist auf Dauer belastend.
Seelenruhig weiterleben, während die Welt eben nicht so ist, wie sie sein sollte. Ich fand dieses „Normal“ so seltsam. Autofahren ist doch normal. Fleisch essen ist doch normal. Ständig neue Klamotten kaufen ist doch normal. Ich fühlte mich in einer seltsamen Wirklichkeit, in der Menschen einfach normal weiterlebten, ihre Träume lebten und dabei kaum Rücksicht auf Tiere und Menschen nahmen. Ich traf Menschen, die mich fragten:“Du magst die Umwelt sehr gerne, oder?“. Als sei Umweltschutz und Klimaschutz mein Hobby, und nicht eine schlichte Notwendigkeit und eine Verantwortung, um die ich nicht gebeten habe. Und die uns ALLE betrifft. Ich habe mich manchmal wie ein Alien gefühlt.

Also, was tun? Mehr darüber lernen und „den Leuten sagen, was Sache ist“. 😀 Schriftlich. Weil Schreiben, das war ja schon immer mein Ding.
Deswegen habe ich Geografie studiert mit dem Berufsziel Journalismus. Ich war davon überzeugt: Wenn ich mehr über die Welt weiß, dann kann ich meine Kraft dafür einsetzen, etwas zum Guten zu wenden. Die Menschen sollen erfahren, dass es kurz vor 12 ist: Wir müssen Alarm schlagen, Augen öffnen, Klimaschutz und Umweltschutz nach ganz oben auf der Weltagenda setzen! Es schien mir – und vielen in meinem Öko-Umfeld ebenfalls – logisch, dass die Menschen, wenn sie das große Problem nur endlich begreifen, wir endlich gemeinsam etwas tun, um die Misslage zu beheben. Dass wir unsere Lebensweisen ändern, die längst nicht mehr up to date sind. Ein Trugschluss, habe ich im Laufe des Studiums festgestellt, denn
- Wissen führt nicht direkt zum Handeln, und mehr Wissen nicht zu mehr Handeln. Das ist also nicht die Denkweise, mit der wir die Klimakrise lösen.
- Und es ist auch nicht das Hauptproblem. Mehr dazu unten.
Ich habe meinen Trugschluss 2018 bei meiner Mitarbeit in einem Klimaschutz-Projekt bemerkt: Bürger*innen sollten in Workshops lernen, klimafreundlicher zu leben und ihren ökologischen Fußabdruck reduzieren. Ich fand das erstmal logisch: Wissen weitergeben, dann handeln Menschen nachhaltiger.
Was bringt wirklich Veränderung?
Für meine Masterarbeit wollte ich messen, ob sich ihr „individuelles Verhalten“ durch das Projekt verändert. Doch ich hab festgestellt: Sie wussten längst, was nachhaltiges Leben bedeutet. Manche fuhren mit dem Lastenrad in den Urlaub oder pflanzten eigenes Gemüse an. Was sie wirklich veränderte, war der Austausch – eine unterstützende Bubble, die ihre „kleinen“ Schritte sichtbar gemacht hat und in der sie sich gegenseitig bestärkt haben. Wie sollte ich das denn messen? Also hab ich mich in die Sozialforschung gefuchst. Der „Sozialkonstruktivimus“ besagt, dass wir alle zusammen unsere Wirklichkeit produzieren. Verhalten ist nicht individuell, sondern immer eingebettet in soziale Beziehungen. Wir beobachten und beeinflussen uns gegenseitig – in Gesprächen, im Alltag, auf Social Media. Wir bestimmen gemeinsam, was als „richtig“ gilt und was nicht.
Und deshalb geht es beim Klimaschutz nicht in erster Linie darum, „klimafreundliches Verhalten“ in vielen einzelnen Menschen zu erhöhen und diese Erhöhung zu messen. Es geht darum, dass wir miteinander aushandeln, was ein gutes Leben ist – und uns darin gegenseitig bestärken. Jeder Dialog, jedes Teilen von Erfahrungen kann etwas verändern.

Dieses Aushandeln bedeutet auch, dass wir uns ständig beobachten und vergleichen. Dabei entstehen auch Konflikte. Das kann richtig nerven. Aber es zeigt auch, dass wir alle mitbestimmen können, was ist: Es bringt was, wenn wir die Stimme erheben. Jedes Gespräch verändert die Wirklichkeit, in der wir leben. Weil Gespräche die Wirklichkeit formen. Ebenso: Bücher, Filme, Kunst usw., die noch einmal auf einer breiteren Ebene Debatten anstoßen können.
Das Ganze zeigt mir: Meine Stimme erheben, um die Welt besser zu machen: das funktioniert – aber anders, als ich ursprünglich dachte. Es geht viel mehr darum, das Gute gemeinsam und friedlich auszuhandeln und sich gegenseitig zu inspirieren und zu unterstützen, als darum, Menschen mit fertiggedachten Umweltschützer-Ideen vollzustopfen.
Die Taktik der fossilen Industrie
Denn jetzt kommen wir zu dem eigentlichen Problem: Wir sind aufgewachsen mit einer Idee von Glück, in der fliegen, Fleisch essen und Auto fahren ganz wichtig sind. Wer uns das erzählt hat? Dieselben, die uns dann erzählten, wir sollen doch bitte auf unseren ökologischen Fußabdruck achten: die fossile Industrie.
Das beschreibt Luisa Neubauer in ihrem Buch „Was wäre, wenn wir mutig sind?“. Mit aller Macht versucht sich die fossile Industrie am Leben zu halten, und das seit Jahrzehnten. Sie vermittelt uns: Erdöl, Kohle und Gas zu nutzen sei unser gutes Recht und der Weg zu einem glücklichen Leben. Der simple, wissenschaftlich schon lang erwiesene Fakt “Die Atmosphäre heizt sich durch fossile Energien auf und es wird heißer, das ist für alle Lebewesen scheiße”, wird verschleiert, hinterfragt, geleugnet und, wenn das nicht mehr hilft, auf das “Individuum” verlagert, dass doch bitte auf das Auto verzichten soll. Es stimmt wirklich: Der Ölkonzern BP hat den CO2-Fußabdruck großgemacht.


Sich dann plötzlich schuldig zu fühlen für die Dinge, die als normal gelten und vielleicht gar nicht anders möglich sind in diesem System (Stichwort: Schlecht ausgebauter ÖPNV) ist einfach doof. Das fühlt sich natürlich ungerecht an. Leider richtet sich die Wut oft auf diejenigen, die es wagen, auf die Fehler im System hinzuweisen. Nicht auf die fossile Industrie, die durch ihre CO2-Emissionen Hauptverursacher der Klimaerhitzung sind, und Regierungen, die es versäumen, Menschen vor der Klimakrise zu beschützen. Deswegen finde ich es schlimm, wenn Menschen, die ihre Lebenszeit, ihren Mut und ihre Energie in Umwelt-/Klimaaktivismus stecken, als Öko-Ideologen bezeichnet werden. Entschuldigung, wir hätten gerne unverschämterweise, dass wir alle weiterhin auf dieser Erde leben können. 🙂
Kreativität und Klimakrise
Mein Leben in der Klimakrise: Für mich bleibt die Frage: Wie wäre mein Leben ohne die Klimakrise? Ich hätte wahrscheinlich nicht viele Stunden, Tage, Wochen, Monate in Unibibliotheken gesessen und mich mit der Erde und den Menschen beschäftigt und dieser einen Frage nachgehangen, wie wir als Menschheit schützen können, was uns am Leben hält.
Ich hätte einfach Kunst gemacht. Geschrieben, gemalt, fotografiert. Weil ich das liebe. Ich hätte vielleicht Kunst oder Literatur oder Germanistik studiert.
Aber das kann ich natürlich niemals wissen.

Langsam aber sicher finde ich trotz Klimakrise einen Weg, meine kreative Arbeit mehr in den Mittelpunkt meines Lebens zu rücken. Mein Roman hat nicht viel mit der Klimakrise zu tun. Statt in die Tiefe der Natur tauche ich ab in die Tiefe menschlicher Beziehungen. Bestimmt mache ich die Welt ein bisschen besser, weil die Geschichte hilft, mal eine andere Sichtweise einzunehmen, oder etwas aus dem eigenen Leben besser zu verarbeiten – oder einfach nur nach einem vollen Tag zu entspannen. Entspannte, reflektierte Menschen suchen ihr Glück vielleicht nicht in großen Autos und sind weniger anfällig für Desinformation.
Klimaschutz gehört überall hin
Trotzdem werde ich das Thema auch konkret einbauen, denn Klimaschutz und Umweltschutz gehört für mich in alle Lebensbereiche. In diesem Fall sowohl in meine Angestelltenarbeit, als auch in meine kreative Arbeit. Mein Hauptprotagonist beispielsweise ist strikter Baumwolltaschenverwender, kauft lokal und liebt es, Fahrrad zu fahren 🙂 Auch in der Romanwelt können wir uns gegenseitig zu einem „dekarbonisierten Leben“ inspirieren, befreien uns also von der Idee, dass wir fossile Energien brauchen, um glücklich zu sein – und sie eben nicht mehr zu nutzen. Jep, ich, Öko-Ideologin 🙂
Ich möchte meinem gänseblümchenpflückenden Kind-Ich gerne sagen: Als Erwachsene tue ich, was ich kann, in den Lebenbereichen, in denen ich mich bewege, um die Lebensgrundlagen für weitere Kinder zu erhalten.
Dazu gehört: Über die Klimakrise sprechen (schreiben, malen, fotographieren…). Auch benennen, dass es nicht mehr „kurz vor 12“ ist, sondern eher nach 12. Sagen, wer die Verursacher sind. Und dann an einer Welt arbeiten, in der es allen ohne fossile Energien gut geht. Sich vernetzen. Protestieren. Sich engagieren. Sich vorstellen, wie es anders sein könnte. Das zeigen, was schon anders ist. Die Hoffnung am Leben halten.

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